Wie führe ich Mitarbeiter im Homeoffice?
Prof. Sibylle Olbert-Bock über Struktur, Freiheit und Verantwortung
Die Digitalisierung stellt Führungskräfte vor Herausforderungen. Wie bleiben sie im Austausch mit ihren Mitarbeitern im Homeoffice? Wie binden sie Mitarbeiter in Zeiten des schnellen digitalen Austauschs mit anderen ans Unternehmen? Ein Gespräch mit Professor Dr. Sibylle Olbert-Bock von der OST (Fachhochschule St. Gallen).
Frau Professor Olbert, Sie forschen zu Führen in Zeiten der Digitalisierung?
Mein Aufgabenbereich umfasst die Lehre, Forschung, Dienstleistung und Weiterbildung zu diesem Thema. Bereits vor sieben Jahren war ich Beirätin in einem Programm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zu diesem Thema. Unter anderem ging es um das verantwortungsvolle Handeln der Personalführung in diesem Kontext.
Die Digitalisierung stellt neue Anforderungen an autonomes Arbeiten.
Seit den 90er Jahren werden Themen wie Autonomie von Mitarbeitern, Umgang mit Mitarbeitern auf Augenhöhe, Sinnhaftigkeit des Tuns – die Aspekte des nachhaltigen und verantwortungsvollen Führens – diskutiert. Das ist nicht erst ein Thema von heute, denn von diesem Führungsstil versprechen sich Unternehmen Innovation und Mitarbeiterbindung. Unternehmen kommen jedoch aus Traditionen. Sich daraus zu lösen ist schwierig. Für mich ist klar: Es muss standardisierte, vorgegebene Prozesse geben und daneben kreative Prozesse mit hoher Eigenbeteiligung.
Wie sehen diese zwei Prozessebenen in Zeiten von Homeoffice aus?
Traditionell kann man auch Online mit Auftragschecklisten führen. Die Vorteile des Homeoffice mit Blick auf Kreativität sind jedoch: Mitarbeiter organisieren ihre Aufgaben noch eigenständiger. Experten können digital schnell dazu genommen werden. Diskussionen sind fokussierter.
Der Nachteil: Der soziale Austausch wird weniger, der oft wertvolle Schulterblick entfällt. Im Hinblick auf komplexes Zusammenarbeiten dauert es u.U. länger wenn einzelne Ideen weniger ineinandergreifen.
Im Lockdown mussten wir schnell reagieren, um Homeoffice grundlegend umzusetzen. Jetzt ist der Moment da, diesen Prozess mit allen Beteiligten aktiv zu gestalten und zu optimieren. Dazu gehört, die Leute immer wieder auch in Präsenz zusammen zu holen und persönlich Vertrauen aufzubauen.
Manche Führungskraft ist verunsichert, weil sie ihre Leute nicht mehr oft sieht.
Wie gesagt: Wir kommen aus Traditionen. Eine Führungskraft die ein starkes Kontrollbedürfnis hatte wird dieses weiter haben. Das heißt – einige Führungskräfte müssen Vertrauen lernen. Gleichzeitig muss das Team aber auch lernen, mit der Verantwortung die ein größerer Freiraum mit sich bringt, umzugehen. Führungskräfte sollen wissen: In dem Maße in dem sie Freiräume gewähren, müssen sie Verantwortungsübernahme einfordern. Das kann sowohl im Team als auch individuell am besten vor Ort besprochen werden. Die Führungskraft muss das Thema Freiraum versus Verantwortung aktiv adressieren, ihre Erwartungen formulieren, auch einmal Einsatz einfordern.
Das heißt Führen über klare Ziele?
Wenn Ziele mit Geld hinterlegt sind ist Vorsicht geboten. Alle Untersuchungen zeigen: Finanzielle Anreize sind wenig geeignet, die intrinsische Motivation aufrecht zu erhalten. Und: Ich kann nicht alles in messbare Ziele gießen.
Es müssen also eher eine klare Strategie und Rahmenbedingungen sein?
Genau. Wo wollen wir hin? Was ist der Sinn unseres Handelns? Wie sieht Kundenorientierung bei uns aus? Das sind die Fragen. Ich würde es im Sinne der Autonomie eher so sehen dass innerhalb dieser „Planken“ freie Gestaltung möglich ist. Das ist eine andere Form der Steuerung wie Führen über Einzelziele.
Ich kann aber doch nicht jeden Mitarbeiter gleich steuern?
Nein. Es wird in Zeiten der Digitalisierung noch notwendiger, individuell zu führen. Mitarbeiter sind unterschiedlich reif, haben unterschiedliche Werte. Mit Homeoffice wird es noch komplizierter. Das Privatleben spielt viel stärker mit rein als im Büro, die Ablenkungen sind vielfältiger. Das Vorbild der Kollegen fehlt. Das kann bei manchem zu größeren Strukturierungsproblemen des Alltags führen. Hier ist die Führungskraft gefragt.
Was kann sie machen?
Öfter eine Videokonferenz mit demjenigen führen der mehr Struktur braucht. Oder den Mitarbeiter ins Büro holen. Wichtig ist es daneben auch über Video den Smalltalk zu führen und nicht nur Themen abzuhaken. Also nachfragen, wie es dem Mitarbeiter im Homeoffice geht.
Bleiben Teams in Firmen überhaupt bestehen oder lösen sich Arbeitsstrukturen zukünftig auf? Müssen wir Zusammenarbeit anders denken?
Das ist ja schon im Gange. Es kommen immer wieder Selbstständige oder Experten in Teams dazu, liefern zu, arbeiten mit ihnen. Diese Buntheit ist da und wird weiter steigen. Doch die Organisation will ja auch Mitarbeiter dauerhaft binden und zumindest im Kern stabil bleiben. Das gilt nach wie vor. Denn Mitarbeiter sind digital noch viel leichter abzuwerben als bisher.
Wie bleiben Mitarbeiter dem Unternehmen verbunden?
Führungskräfte sollen externen Mitarbeitern durchaus den Gesamtsinn ihres Handelns vermitteln und sie in Gesamtteams einbinden. Interne brauchen noch mehr. Was kann ich in dieser Organisation umsetzen? Welche für mich sinnvolle Entwicklung kann ich mit der Organisation gehen? Wie gut kann ich mich einbringen und werde ich gehört? Das muss für Mitarbeiter erlebbar sein. Dieses Bedürfnis ist nicht unbedingt neu. Die jungen Mitarbeiter fragen aber intensiver danach. Immer öfter kennen sie brüchige Entwicklungen und Neuorientierung aus ihren Familien. Sie haben auch kein Problem damit, mehrere Dinge zu machen, im Gegenteil. Ein finanzielles Stand- und ein Spielbein zu haben. Dieser Trend wird meines Erachtens noch stärker werden. Deshalb ist verantwortungsvolles Führen wichtiger denn je.
Das Interview führte Doris Goossens
