Der befürchtete Imageverlust ist gering
Dr. Christoph Engl hat den Markenstrategieprozess im Berchtesgadener Land geleitet. Der Markenexperte beantwortet Fragen zu einem möglichen Imageverlust durch die Corona- Maßnahmen und Berichterstattung, macht Hoteliers und Gastgebern Mut und erklärt, was Marketingfachleute seiner Meinung nach jetzt tun sollen.
Herr Engl, Hunderte Gäste aus dem Berchtesgadener Land mussten abreisen, weil dieses laut offiziellen Aussagen der Bayerischen Staatsregierung den kritischen Inzidenzwert überschritten hat. Das Berchtesgadener Land war als Corona-Hotspot auf der Titelseite aller großen deutschen Zeitungen. Droht ein gravierender Imageverlust?
Christoph Engl: Das ist natürlich ein dramatisches Ereignis und für Schlagzeilen eine leichte Beute. Dennoch würde ich den befürchteten Imageverlust als gering einschätzen. Dieser wäre gegeben, wenn diese Maßnahme durch unverantwortliches Verhalten oder Fahrlässigkeit vor Ort herbeigeführt worden und es nirgendwo anders zu ähnlichen Situationen gekommen wäre. Weil dies offensichtlich nicht der Fall ist, wird die Aufmerksamkeit durch die Medien zwar kurzfristig auf eine Region gelenkt, aber auch sehr schnell wieder verebben. Ein nächstes dramatisches Ereignis irgendwo in Deutschland oder auf der Welt wird Ihnen den Rang ablaufen. Ihre Region ist ja nicht von einer Umweltkatastrophe mit Langzeitschäden oder ähnlichem betroffen, sondern von einer harten Präventionsmaßnahme gegen eine Pandemie.
Sind diese Schlagzeilen vielleicht sogar gute Schlagzeilen, frei nach dem Motto….Berchtesgadener Land - das kennt jetzt jeder?
Mit einer solchen Einschätzung wäre ich hingegen weit vorsichtiger, um es mal sanft auszudrücken. Dann wären ja auch die Nuklear-Katastrophen von Tschernobyl oder Fukushima für diese Regionen eine gute Werbung gewesen – an Bekanntheit hat es diesen nach solchen Ereignissen ja nie gemangelt. Nur gibt es eben in der Markenlehre den entscheidenden Unterschied zwischen Bekanntheit und Begehrlichkeit. Erstere nützt nichts, wenn die zweite nicht gegeben ist. „Only bad news are good news“ ist ein probates bewiesenes Mittel für Medien, welche ihre Auflagen mit Negativschlagzeilen und Skandalschreierei erhöhen. Diese Formel auf Destinationen zu übertragen ist unzulässig. In diesen zählt nach wie vor, dass Begehrlichkeit vor Bekanntheit kommt, und dass erstere von einem Image herrührt, das sich über bewiesene Spitzenleistungen aufgebaut hat.
Wie langfristig ist ein Imageverlust durch negative Schlagzeilen aus Ihrer Erfahrung?
Die entscheidende Frage ist, worauf sich Negativschlagzeilen beziehen. Wenn diese einen Kern oder eine Schlüsselleistung einer Marke oder Destinationsmarke treffen, dann können die Langzeitauswirkungen fatal sein. Betreffen sie hingegen eine Tatsache oder ein Ereignis, welche in einer Destination zwar lokalisierbar sind, hingegen mit dem Markenversprechen der Region nichts zu tun haben, dann ergeben sich daraus keine ernstzunehmenden Folgeschäden. Aber selbst bei großen Umweltkatastrophen wie Öltankerunglücken oder Vulkanausbrüchen sowie Anschlägen auf touristische Einrichtungen sind die negativen Auswirkungen auf Buchungslagen viel geringer als angenommen. Wir Menschen vergessen schnell und bleiben bei unseren positiven Vorurteilen zu einer Destination – sofern es diese gibt – länger als man annehmen würde.
Gibt es Ihrer Meinung nach einen Unterschied im Imageverlust der einzelnen Marken Berchtesgaden, Bad Reichenhall, Berchtesgadener Land?
Schlagzeilen zu Destinationen sind immer und bewusst geografisch ungenau. Sie wollen einem Sachverhalt eine größere Dimension geben als es die Wahrheit hergibt. Das liegt in der Natur der Sache. Eine Region ist in der Wahrnehmung als Destination nie geografisch abgegrenzt – und dies gilt im positiven wie im negativen Sinne. Wenn Sie Berchtesgaden sagen, dann ist dies in der Wahrnehmung eines Betrachters von außen Ort und Region zugleich, und Bad Reichenhall wird nur für Kenner dazugehören und für andere gar nicht. Der Versuch, das Image von Regionen geografisch genau abzugrenzen, ist zum Scheitern verurteilt. Es geht um die emotionale Bedeutung einer Region, die als solche „gefühlte Geografie“ ist.
Was können Unternehmen und die verantwortlichen Tourismus- und Wirtschaftsorganisationen jetzt tun?
Meist wird in solchen Situationen aktionistisch reagiert, ohne Not. Man will „korrigieren“ und „richtigstellen“. Das gelingt nie, weil Emotionen nicht mit Fakten bekämpft werden können. Zudem wird die Aufmerksamkeit auf das Ereignis, welches zu einem vermeintlichen Imageschaden geführt hat, durch Gegenmaßnahmen eher verstärkt als geschwächt. Unmittelbar gestartete Imagekampagnen, im Glauben man könne die Wahrheit erzählen, verbrennen Geld. Sie treffen auf keinen fruchtbaren Nährboden, weil die Menschen in Zeiten wie wir sie gerade erleben für einen Imageaufbau nicht empfänglich sind. In der Krise vertraut man dem Bewährten und wird keine Experimente wagen. Wer sich also kein positives Image im Vorfeld zu solchen Ereignissen bereits aufgebaut hat, dem wird es im Krisenmodus schon gar nicht gelingen. Wenn dies jedoch der Fall ist, dann darf man darauf vertrauen, dass dieses positive Vorurteil (= Image) lange trägt. Man muss an diesem Image kontinuierlich weiterbauen, in Ruhe und zum richtigen Zeitpunkt. Ich weiß, dass dies schwierig ist, weil man gerne schnell agieren würde und unter Druck steht. Allerdings ist es nicht zu empfehlen.
Die Interviewfragen an Christoph Engl stellte Doris Goossens in schriftlicher Form.
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