Eine Insolvenz kann auch eine Chance sein
Die Folgen der Corona-Pandemie treffen viele Unternehmer hart. Noch verschieben staatliche Maßnahmen Insolvenzantragstellungen zeitlich . Ab Herbst erwarten Experten allerdings eine Welle von Anträgen, die bis in das Jahr 2021 hineinreichen wird. Warum Insolvenzen und ein klarer Schnitt auch Chancen bieten, erklärt Rechtsanwalt Thorsten Wirths aus Bad Reichenhall.
Wann spricht man von Insolvenz?
Ausgelöst wird ein Insolvenzverfahren in der Regel durch die Unfähigkeit, seinen Zahlungsverpflichtungen fristgerecht nachkommen zu können. Insolvenzen sind Gesamtvollstreckungsverfahren mit dem Ziel, die Forderungen von allen Gläubigern gegen einen Schuldner gleichmäßig zu befriedigen.
Besteht die Pflicht, eine Insolvenz zu anmelden?
Ja, juristische Personen wie eine GmbH oder ein Verein sind dazu verpflichtet, wenn Insolvenzgründe (siehe Infokasten) vorliegen. Tun sie es nicht, machen sich die Leitungsorgane unter Umständen strafbar und haften persönlich für Schäden, die durch eine verspätete Antragsstellung entstehen. Im Klartext: Jemand der Insolvenzreif ist, den Antrag nicht stellt und weiterhin Verträge abschließt die er nicht erfüllen kann, wird für den dadurch entstandenen Schaden haftbar gemacht.
Wie geht es weiter, wenn man beim Insolvenzgericht war?
Dem Unternehmer wird aufgegeben ein Vermögensverzeichnis zu erstellen. Darin muss alles angegeben werden, was an Geld, an Vermögenswerten, an Fahrzeugen, an Sachanlagen etc. vorhanden ist und wer die Gläubiger sind. Auf Basis dieser Unterlagen bestellt das Gericht regelmäßig einen Gutachter, der feststellt, a) liegt ein Insolvenzgrund vor, b) sind die Kosten für ein Insolvenzverfahren abgedeckt und c) kann man das Unternehmen fortführen? Denn eine wesentliche Zielsetzung der Insolvenzordnung ist es, Unternehmen zu erhalten. Wenn dafür eine Chance besteht, ist der eingesetzte Insolvenzverwalter angehalten, alles dafür zu tun. Er fungiert quasi als eingesetzter Geschäftsführer. Viele verkennen, dass ein Insolvenzverfahren ein Sanierungsinstrumentarium sein kann.
„Ein Insolvenzverfahren ist ein Sanierungsinstrumentarium.“
Eine Insolvenz bedeutet nicht automatisch das Aus?
Nein. Es ist vielleicht sogar gerade jetzt in der coronabedingten Situation etwas das helfen kann, damit es dazu nicht kommt. Wer ein lebendiges Unternehmen hatte, von dem er gut leben konnte, jetzt aber durch die Krise Verbindlichkeiten durch Mietausgaben, Personal, Versicherungen etc. angehäuft hat die er nicht mehr zahlen kann, für den wäre ein Insolvenzverfahren die Möglichkeit, einen sauberen Schnitt zu machen. Das muss natürlich bei jedem Betrieb sorgfältig geprüft werden und man muss auch jemanden finden, der das Unternehmen in der Insolvenz gut fortführt, das ist nicht ohne Risiko.
Was sind die Gründe, warum viele vor einer Insolvenz zurückschrecken?
Zum einen weil sie mit dem Insolvenzverwalter jemanden zugewiesen bekommen der ihnen vorgesetzt ist und sagt was zu tun ist. Man gibt quasi das Zepter ab an jemanden, der nicht mal vom Fach also kein Metallbauer oder Bäcker oder Gastronom sondern Rechtsanwalt, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer ist. Aber er ist der Experte für Zahlen und die funktionieren überall gleich. Bei Alteingesessenen oder bei Familienbetrieben höre ich außerdem ganz oft: „Dann erfahren es ja die anderen.“ Die Scham ist sehr groß. Ich sage dazu: Jeder Unternehmer trägt ein großes Risiko und dazu gehört eben auch das Scheitern. Und wenn das mit Corona zu tun hat ist es doppelt hart, weil man gar nichts dafür kann und sich auch keinen Vorwurf machen muss. Aber viele opfern lieber noch das Sparbuch vom Enkel und die letzte Lebensversicherung, bevor sie den Antrag stellen. Damit machen sie die Sache oft noch schlimmer.
„Die Scham vorm Scheitern ist groß.“
Je früher man den Tatsachen ins Auge sieht, desto besser?
Das Problem ist: Wenn man buchstäblich den letzten Cent ausgegeben hat, ist halt auch nichts mehr da, um das Geschäft während eines Insolvenzverfahrens fortführen zu können. Also nichts verschleppen. Aber auch nichts überstürzen, sondern sich im Zweifel lieber beraten lassen. Ich höre oft von Mandanten, die im Nachhinein froh sind den Schritt getan zu haben. Wenn man jeden Morgen Angst hat, den Briefkasten zu öffnen weil wieder Zahlungserinnerungen oder Mahnbescheide drin sind, macht einen das mürbe. Eine Insolvenz ist nicht schön, aber man hat dann wenigstens jemanden, der sich um all das kümmert.
Wie lange trägt man an den Folgen einer Insolvenz?
In der Regel muss man sechs Jahre bis zum Pfändungsfreibetrag seine Schulden zahlen. Danach hat man noch drei Jahre einen negativen Schufa-Eintrag und kann nichts auf Raten oder Kredit kaufen. Besonders bitter ist eine Insolvenz kurz vor der Rente, wenn das Vermögen und die Privatvorsorge genommen werden.
Das heißt ein Unternehmer haftet privat?
Jein. Ein Unternehmen kann ja in vielerlei Rechtsformen betrieben werden. Geschieht dies beispielsweise in Form einer juristischen Person (GmbH, AG) so haftet grundsätzlich nur die juristische Person. Wer Geschäftsführer oder Gesellschafter dieser juristischen Person ist, schuldet grundsätzlich nichts. In der Praxis gibt es aber meist Haftungsansprüche oder Verschleppungsvorwürfe. Ein klassischer Einzelunternehmer haftet mit allem was er hat, es gibt keine Trennung zwischen Geschäft und Privat.
Kann man rechtzeitig ansetzen, um eine Insolvenz zu vermeiden?
Viele Unternehmen agieren aus dem Bauch raus. Das mag in guten Zeiten funktionieren. Aber nicht wenn es eng wird wie derzeit. Wenn man als Unternehmer merkt, dass der Stapel mit den fälligen Rechnungen immer größer und größer wird, dann ist spätestens das der Moment, sich intensiver mit seinen Zahlen auseinandersetzen und eine straffe Liquiditäts-, Ergebnis- und Finanzplanung zu erarbeiten. Nicht, weil möglicherweise die Bank das gerne hätte, sondern um selbst einen Überblick über seine Zahlen zu bekommen. Das ist auch aus strafrechtlicher Sicht immens wichtig, sollte es mal um den Vorwurf der Insolvenzverschleppung gehen.
„Wenn der Stapel mit den fälligen Rechnungen immer größer wird, sollte man sich intensiver mit seinen Zahlen auseinandersetzen.“
Wie schätzen Sie die Situation im Landkreis ein, welche Auswirkungen hat Corona hier?
Im Moment springen vor allem Gastronomie und Hotellerie wieder an, was vielen Grund zur Hoffnung gibt. Vielleicht geht es tatsächlich gut, allerdings ist der Zeitkorridor kurz, spätestens ab November wird es bei uns wieder ruhig werden, das heißt bis Ende Oktober müsste der Ausfall wieder reingeholt sein. Schwierig. Im Moment wirkt sich außerdem noch das Covid-19- Insolvenzaussetzungsgesetz positiv aus.
Was ist das?
Normalerweise muss ein Insolvenzantrag ja sofort gestellt werden, wenn ein Insolvenzgrund vorliegt. Aufgrund von Corona hat der Gesetzgeber diese Antragspflicht bis zum 30. September unter bestimmten Voraussetzungen ausgesetzt.
Und danach?
Da wird wahrscheinlich ab Spätherbst eine Antragswelle auf uns zukommen. Derzeit zittern noch viele und warten ab. Aber Experten rechnen mit um die zwölf Prozent Steigung der Insolvenzen bis zum Ende des Jahres.
Was versteht man unter Insolvenz?
Im deutschen Insolvenzrecht sind drei mögliche Gründe für die Insolvenz aufgeführt:
- Das Unternehmen kann seine fälligen Schulden nicht begleichen.
- Das Unternehmen wird zum Zeitpunkt der Fälligkeit seiner Schulden voraussichtlich nicht in der Lage sein, diese zu begleichen.
- Das Vermögen des Unternehmens ist kleiner als seine Schulden. Vermögen und Schulden sind in diesem Sinne nicht unbedingt mit ihren bilanziellen Werten anzusetzen, sondern mit ihren tatsächlichen Werten. Diese können (etwa im Falle von stillen Reserven) teilweise recht deutlich voneinander abweichen.
Wenn einer dieser drei Fälle vorliegt, hat die Geschäftsführung unverzüglich Insolvenz zu erklären. Wird die Insolvenzerklärung nicht oder nicht rechtzeitig gestellt, so müssen die Verantwortlichen für diese sogenannte Insolvenzverschleppung mit bis zu drei Jahren Gefängnisstrafe rechnen. Für Einzelunternehmer gilt das nicht. Sie haben nur das Risiko des Betrugsvorwurfs, wenn sie trotz Kenntnis ihrer Zahlungsunfähigkeit weitere Verbindlichkeiten eingehen, die sie nicht erfüllen können.
Das Interview führte Kathrin Thoma-Bregar