Wohnraum braucht kreatives und kein Kirchturm-Denken
Die Sozialraumanalyse des Berchtesgadener Landes zeigt: in den kommenden Jahren werden Tausende Fachkräfte gebraucht. Wie schaffen Kommunen Wohnraum und warum ist Regionalentwicklung und nicht Kirchturmdenken gefragt? Ein Gespräch mit Wolf Steinert vom Planungsbüro Hohmann Steinert.
Herr Steinert, Sie sind mit Ihrem Ingenieurbüro seit vielen Jahren als Flächenentwicklungsplaner und Ortsentwickler für die Gemeinden im Berchtesgadener Land und den Landkreis tätig. Was wird getan?
Vor allem der innere Landkreis hat Sensationelles geleistet, indem die fünf Gemeinden einen gemeinsamen Flächennutzungsplan aufgestellt und zusammen überlegt haben: Wo wollen wir Gewerbe ansiedeln, wo Wohnraum schaffen. Das war vorbildlich und konsequent, denn interkommunale Zusammenarbeit bei der Flächenentwicklung, bei der Regionalplanung und beim Schaffen von Wohnraum ist die Zukunft. Gemeinden wie Ramsau oder Marktschellenberg haben nicht die Möglichkeit, jede Form des Gewerbes anzusiedeln oder Wohnraum zu schaffen. Dafür bieten sie Naturerlebnisse. Andere wiederum haben einen Bahnknotenpunkt. Kirchturmdenken ist hier kontraproduktiv.
Mit dem Beschluss Gewerbe anzusiedeln ist es aber nicht getan.
Wenn ich einen Betrieb ansiedeln will, muss ich viele Themen lösen: Umweltverträglichkeit, Zufahrten, Mobilität, Mitarbeiter. Wie strukturiere ich mich im nationalen und internationalen Konkurrenzverhältnis, wo ist der nächste Flughafen, wie laufen internationale Bahnverbindungen. Das heißt, hier haben Bürgermeister große Verhandlungspartner, zum Beispiel die Bahn. Das ist ihnen nicht immer bewusst.
Auch Wohnraum für die Mitarbeiter wird immer wichtiger.
Wer ein Gewerbegebiet plant muss heute das Thema Wohnraum für Mitarbeiter unbedingt mit beleuchten. Wie kommen die Leute zur Arbeit. Wo schaffe ich Bahnhaltepunkte, Radwege. Auch die Unternehmer selbst sind gefragt. Große Firmen wie zum Beispiel KTM planen Mitarbeiter-Wohnraum, Begegnungs- und Kinderbetreuungsstätten mit ein. Hier ist aufgrund der derzeit niedrigen Zinsen durchaus noch mehr Unternehmer-Engagement möglich. Wir stecken also bereits mitten im Prozess. Wer nichts tut, der wird gestaltet.
Oft hört man, das Baugesetz erlaubt es nicht.
Mit dem Planungs- und Baurecht haben wir ein ganz stabiles, Vertrauen schaffendes Gesetzeswerk, das sehr große Spielräume bietet. Gemeinden müssen begreifen, dass Wohnraum schaffen eine Unternehmung ist. Ich mache das nicht an Dachneigungen oder Nachverdichtung auf „Teufel komm raus“ fest, sondern ich fordere Kreativität. Das können und müssen Kommunen nicht selbst machen. Hier braucht es Profis, und es gibt viele Möglichkeiten. Die eine Kommune hat eine eigene Wohnungsbaugesellschaft, die nächste macht es mit der Landkreisgesellschaft, die dritte mit der Bayerischen Landessiedlung. Es gibt auch hervorragende private Experten für das Schaffen modernen Wohnraums. Ein sehr gelungenes Beispiel ist der Umbau der Alten Saline durch die Kur-Bau Bad Reichenhall.
Dennoch: Es wird zu wenig gebaut.
Das stimmt nicht. Es wird viel gebaut. Es ist nur so, dass der soziale Aspekt in den vergangenen Jahren verloren gegangen ist. Die Wohnungsbaugesellschaften auf Landes- und Landkreisebene wurden zu wenig gefördert. Wir haben heute ein Ergebnis, das wir vor zehn Jahren so wollten.
Was empfehlen Sie also den Kommunen im Berchtesgadener Land in punkto erschwinglicher Wohnraum?
Der Flächennutzungsplan ist der Einstieg. Hier muss konsequent in die Zukunft gedacht werden. Das Gesetz empfiehlt, dass eine Gemeinde spätestens nach 15 Jahren einen neuen Flächennutzungsplan machen soll. Ein uralter mit 80 Änderungen ist kontraproduktiv. Ich sage, nach 10 Jahren muss sie damit anfangen um wichtige Entwicklungen nicht zu verschlafen.
Der nächste Schritt ist eine Datenbank, durch die ich stets eine aktuelle Übersicht über meine Flächen, meine Leerstände habe. Letztere sollten nicht bejammert, sondern als Chance genutzt werden. Wir bauen zum Beispiel gerade die seit Jahren leer stehenden Gebäude der Maxhütte in Bergen zu modernen Wohnungen um. In Leerständen kann eine Gemeinde soziale Dienste wie Pflege ansiedeln, wenn sie diese anmietet oder kauft.
Eine Kommune muss unbedingt Grundstücke selbst kaufen um handlungsfähig zu sein.
8 bis 10 Hektar Fläche im Eigenbesitz sollten Standard sein. Bei manchen Gemeinden im Berchtesgadener Land sind es auch mal nur 2 Hektar.
Auch auf Grundstücken die ihr nicht gehören, kann die Gemeinde durchaus aktiv werden. Ein Beispiel: Ein Investor will ein dreigeschossiges Wohnhaus in einem Bestand mit zweigeschossigen Häusern bauen. Wenn die Gemeinde dem zustimmt, kann sie im Gegenzug einen 15- bis 20-jährigen Vertrag über eine Mietbindung für das dritte Geschoss machen. Eine Win-Win-Situation. Die Stadt München macht das derzeit konsequent.
Wie erfahren Unternehmer und Fachkräfte wo sie siedeln oder wohnen können.
Ein Rathaus ist der Partner des Bürgers, Verwaltungen müssen da heute top sein. Regelmäßige Bürgerbeteiligung beim Thema Wohnen ist deshalb auch nichts Schlechtes sondern eine große Chance. Also rufe ich die Bürgermeister dazu auf, diese zu nutzen. Ich bin ein Anhänger des Bürgerbüros, des „Welcome-Service“ für Fachkräfte und Unternehmer, in dem Wohnungs- und Ansiedlungsmöglichkeiten aufgezeigt werden. Auch das muss eine Gemeinde nicht selbst machen, sondern zum Beispiel der Wirtschaftsservice oder die Wohnbaugesellschaft.
Das Interview führte Doris Goossens
