Vom Containerschiff bis zur Zuchtsau
Finanzsoftware „made in Freilassing“
Die Freilassinger sirconic group weiß, was Banken brauchen: individuelle Software, mit der komplette Finanzgeschäfte schnell, effizient und sicher zu bewältigen sind. Jetzt arbeitet auch eine der größten deutschen Landesbanken mit ihrer Bankensoftware – und hat bereits eine Milliarde Euro Neugeschäft damit abgewickelt.
So stellt man sich die Büroräume eines Software-Unternehmen vor: lange Tische, auf dem ein PC neben dem anderen steht, auch wenn die coronabedingt derzeit etwas verwaist sind. Die zwölf Mitarbeiter der sirconic group arbeiten weitestgehend im Homeoffice. Von dort haben sie in den vergangenen Monaten einen großen Auftrag umgesetzt. Eine der zehntgrößten Landesbanken Deutschlands mit Niederlassungen in New York, Singapur, Shanghai und London brauchte eine neue Software, die riesige Datenmengen effizient bearbeiten kann. Dafür wurden vom sirconic-Team alleine rund 8000 Programmdateien und 16 Millionen Programmcode-Zeilen geschrieben.
„Dieser Kunde weist eine Bilanzsumme von 154 Milliarden Euro auf und macht im Refinanzierungsgeschäft tatsächlich alles, vom Containerschiff über Flugzeuge bis hin zur Zuchtsau. Das alles hat die alte Software nicht mehr verarbeiten können. Denn während die Finanzierung eines einzigen Flugzeuges Millionen einbringen kann, ist sie bei Fahrrädern nur lukrativ, weil es ein Massengeschäft ist. In kurzer Zeit müssen viele Verträge abgewickelt werden und dafür braucht man mit unserer Software nur wenige Mausklicks“, erklärt Robert Wenk. Er ist Elektroingenieur und neben Sezgin Demircan und Michael Graßmann einer von drei Geschäftsführern der sirconic group.
Pioniere für Bankensoftware
Bereits vor fast 20 Jahren hat sich das Freilassinger Unternehmen auf Software für den Bereich Finanzdienstleistung, also Leasing und Finanzierungen, spezialisiert. „Wir waren damals eine der ersten und haben entsprechend viel Erfahrung sammeln können“, sagt Wenk. Zu den Kunden der sirconic group gehören neben Kreditinstituten in Deutschland, Schweiz und Österreich unter anderem auch deutsche Automobilhersteller und italienische Sportwagenhersteller. Bei der Kundenakquise wird mit einem spezialisierten Vertrieb in München zusammengearbeitet.
„Es ist eine äußerst sensible, konservative Branche, in der es um hochsensible Daten geht“, weiß Wenk. Die Ansprüche an eine Software sind hoch. Sie muss die verzweigten und nicht bei jeder Bank gleich ablaufenden Geschäftsprozesse abwickeln können, und zwar vom Angebot über die Vertragsverwaltung bis hin zur Refinanzierung. „Nehmen wir das Beispiel Autoleasing. Ein Käufer lässt sich beim Händler sein Wunschmodell konfigurieren und ein Leasingangebot machen. Die Anfrage geht an ein Leasinginstitut, das eine Bewertung vornimmt und gegebenenfalls eine SCHUFA-Auskunft einholt. Auch der Autohändler leiht sich das Geld bei einer Leasinggesellschaft, die es sich ihrerseits bei einer refinanzierenden Bank holt. Und genau diese ganze Kette an Datenabfragen und -abstimmungen übernimmt unsere webbasierte Software, vom Anfang bis zum Ende“, erklärt Robert Wenk.
Wie bei jeder Software ist es auch bei Bankenanwendungen so, dass sie irgendwann durch neue ersetzt werden müssen, weil sie bestimmte Berechnungsmethoden nicht mehr unterstützt oder anbietet. Beispielsweise rechnen etliche Programme noch mit 30 Tagen pro Monat und 360 Tagen pro Jahr, was Ungenauigkeiten beziehungsweise Zinsschwankungen zur Folge hat. Auch bei gestiegenen Datenmengen aufgrund von mehr Vertragsabschlüssen stößt ältere Software an ihre Grenzen. „Dann dauert ein Suchlauf nicht mehr fünf, sondern 50 Minuten oder noch viel länger. Unsere Software berücksichtigt einen stark wachsenden Markt. Sie könnte auch das Hundertfache an Verträgen bewältigen“, so Wenk.
Kein Weg zurück
Während es für viele schon eine Herausforderung ist, den Telefon- oder Stromanbieter zu wechseln, steht bei der Umstellung einer Bankensoftware ungleich mehr auf dem Spiel.
Als im November letzten Jahres schließlich bei dem Landesbank-Kunden umgestellt wurde, war Robert Wenk deshalb auch mit zwei Mitarbeitern vor Ort. Auf Kundenseite war ein zehnköpfiges Team zur Überwachung abgestellt. „Das ist nur für den Notfall, denn im Vorfeld einer Umstellung haben wir mehrere Sicherheitsschritte und Testläufe eingebaut“, sagt Wenk. Die Übernahme der Daten aus dem alten Programm, der sogenannte „Migrationslauf“, hat dann 400 Stunden nonstop gedauert. Seither läuft die Software beim Kunden reibungslos, es werden nur hier und da noch Dinge optimiert. „Das ist wie bei einer Modelleisenbahn, bei der man ständig weiter verschönert“, sagt Wenk und gesteht: „Wir sind schon stolz auf das, was wir da geschafft haben, zumal der Zeitdruck immens war. Denn wenn eine alte Software erstmal gekündigt ist, gibt es kein Zurück mehr. Man kann nicht in zwei Systemen gleichzeitig arbeiten. Wir konnten unserem Kunden in kurzer Zeit zu einem Neugeschäftsvolumen von einer Milliarde Euro verhelfen, die über unsere Software abgewickelt wurde.“
Verwurzelt in der Region
Für die sirconic group sind das Berchtesgadener Land und Freilassing fernab großer Metropolen ein guter Wirtschaftsstandort. Auch wenn die Software selbst von ihren Rechenzentren in München und Nürnberg per Fernzugriff bereitgestellt werden muss, denn dafür sei die Internet-Anbindung der Region leider nicht geeignet, so Wenk. „Einzig die Personalsituation ist schwierig. Wir suchen immer Mitarbeiter, bilden zum Fachinformatiker aus und freuen uns über Praktikanten.“
Die Entwicklung von Unternehmenssoftware ist zwar der umsatzstärkste Zweig der sirconic group – so läuft etwa das Schulungssystem der Bayerischen Polizei mit ihrer Software, auf die 25.000 Polizisten zugreifen können –, das Unternehmen engagiert sich aber genauso so in der Entwicklung von Weblösungen vor Ort und für kleinere Projekte, etwa die Programmierung einer CO2-App für ein lokales Startup. „Wir fühlen uns dem Berchtesgadener Land einfach verbunden“, sagt Wenk.
Text: Kathrin Thoma-Bregar
(29.06.2021)