Perspektiven auch auf lange Sicht
Die Planung für den Neubau der Staatlichen Berufsschule BGL in Freilassing steht an. Deshalb hat der Sparkassen-Vorstandsvorsitzende Helmut Grundner mit Vertretern von Berufsschule, Dienstleistungsbetrieben, Handwerk und Wirtschaftsservice über die Ausbildungssituation im Landkreis gesprochen.
Helmut Grundner, Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Berchtesgadener Land: Das Ifo Institut für Wirtschaftsforschung erklärt im europäischen Vergleich die anhaltend relativ niedrige Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland mit dem seit Jahrzehnten etablierten dualen Berufsbildungssystem. Es sei ein Erfolgsmodell, das zu kopieren sich anderen Staaten empfehle. Hat das Ifo Institut recht?
OStD Hermann Kunkel, Direktor der Staatlichen Berufsschule BGL: Es ist immer gut, wenn man zusammenarbeitet und sich ergänzt. Unternehmen und Schulen sind ideale Partner, um ein hohes Ausbildungsniveau zu erzielen. Früher hieß es oft, dass ein akademischer Beruf mehr wert sei als ein handwerklicher. Dieser Meinung bin ich nicht. Handwerker sind kreativ, führen einen Betrieb, haben Personalverantwortung und tragen die Digitalisierung mit. Das ist dem dualen System zu verdanken.
Johannes Haas, Inhaber der Schreinerei Philipp Haas und Söhne und stellvertretender Kreishandwerksmeister: Um die duale Ausbildung beneiden uns viele, wenn nicht alle Staaten. Als langjähriger Ausbilder und Arbeitgeber könnte ich mir nichts Besseres vorstellen. Nur so wird der Fortbestand von Fachkräften garantiert.
Dr. Anja Friedrich-Hussong, Geschäftsführerin der Berchtesgadener Land Wirtschaftsservice GmbH: Für einen erfolgreichen Start ins Berufsleben sind Fachkenntnisse ebenso wichtig wie persönliche Kompetenzen und die Allgemeinbildung. Beides wird im Betrieb und in der Berufsschule optimal gefördert. Darin liegt das Erfolgsgeheimnis des dualen Systems.
Helmut Grundner: Ist die eigene Berufsschule im Landkreis unverzichtbar?
Hermann Kunkel: Unbedingt! Nur so können Unternehmen und Schule eng zusammenarbeiten. Nur so können wir die Jugendlichen früh auf die vielfältigen Möglichkeiten einer beruflichen Bildung aufmerksam machen. Die regionale Berufsschule ist zudem auch eine Wertschätzung unserer Maurer, Schreiner, Kaufleute, Köche, Friseure, Steuerfachangestellten, Kfz-Mechatroniker, Touristiker…
Johannes Haas: Der Neubau eines Schulzentrums in Freilassing - also fast in der Mitte des Landkreises - ist notwendig und unaufschiebbar, um den Nachwuchs in unserem Landkreis zu sichern. Mit dem Neubau geht einher, dass die doch in die Jahre gekommenen Gebäude und Maschinen auf den neuesten Stand der Technik gebracht werden. Die Ansprüche an Auszubildende und Ausbildungsbetriebe werden immer umfassender und intensiver, insbesondere im digitalen Bereich.
Dr. Friedrich-Hussong: Auch von mir ein klares Ja zum Neubau. Unsere Unternehmen benötigen für ihre Zukunftssicherung top ausgebildete junge Fachkräfte. Diese finden sich, wenn der Ausbildungsstandort attraktiv ist. Eine Berufsschule vor Ort gehört definitiv dazu.
Grundner: Okay, 4:0 pro Berufsschule, auch ich schließe mich an. Erstens sind kurze Wege in die Berufsschule nachhaltig und ökologisch sinnvoll. Zweitens ist unser Landkreis in Bezug auf die Kaufkraft noch benachteiligt, da muss sich manches tun. Fragen wir nun weiter: Wie groß ist der Fachkräftemangel aktuell? Was können wir dagegen tun? Als Sparkasse merken wir, dass der Markt an kompetenten Bankkräften mittlerweile eng geworden ist. Darum wollen wir die Region zum einem Magneten entwickeln, wozu aus unserer Sicht eine gemeinwohlorientierte Denk- und Handlungsweise gehört, um die Lebenssituation der Menschen zu verbessern. Das könnte Fachkräften gefallen.
Hermann Kunkel: Und muss es auch! Bereits die Schülerzahlen in manchen Ausbildungsrichtungen weisen auf kommende Personalnöte hin. Insbesondere in der Gastronomie und in der Körperpflege wird es zu deutlichen Engpässen kommen. Um gegenzusteuern versuchen wir, die Karrieremöglichkeiten unsere beruflichen Bildungssystems zu betonen. Dies müsste auch in den Köpfen der Eltern noch besser ankommen.
Johannes Haas: Nicht nur in unserer Region, sondern sogar grenzübergreifend besteht ein großer Fachkräftemangel, insbesondere im Handwerk. Dabei hat das Handwerk goldenen Boden!
Dr. Anja Friedrich-Hussong: Unsere Unternehmensbefragung 2021 hat gezeigt, dass viele unserer Betriebe den Fachkräftemangel als eine der größten Herausforderungen der kommenden Jahre sehen - und das über fast alle Branchen hinweg. Wir werden also auch auf gut ausgebildete Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen sein. Dafür müssen wir die Voraussetzungen schaffen, etwa Anerkennungsverfahren beschleunigen, Integrationskurse anbieten und für die Fachkräfte und ihre Familien den entsprechenden Wohnraum schaffen.
Helmut Grundner: Wird der neue Schulstandort der Region helfen?
Hermann Kunkel: Definitiv! Mit einer breit angelegten Ausrichtung und einer großen Vielfalt sind wir gut aufgestellt. Als Grenzregion in einem Landkreis mit einer relativ geringen Bevölkerungsanzahl dürfen wir nicht zu sehr spezialisiert sein, wenn wir auf den sich verändernden Bedarf der Unternehmen flexibel reagieren wollen.
Johannes Haas: Uneingeschränkt ja! In unserer besonderen Landkreislage umgeben von Bergen und Österreich ist ein Schulstandort für das Bestehen und für die Fortführung der Betriebe notwendig. Wir brauchen Nachwuchs.
Dr. Anja Friedrich-Hussong: Ich bin auch im Boot! Unsere Region lebt nicht nur vom Tourismus, sondern vor allem auch von der Industrie, dem Handwerk und dem Dienstleistungsbereich.
Helmut Grundner: Ich bedanke mich für das Gespräch mit der Bemerkung, dass wir über eine Ausweitung der Zusammenarbeit mit Universitäten nachdenken sollten, um die Region noch attraktiver zu machen. Aber eins nach dem anderen.
(22.02.2022)